Ute Koczy, Bündnis 90/Die Grünen, Kandidatin für den Bundestag im Wahlkreis Lippe I

1. Die Zentralunterbringungseinrichtung (ZUE) für Flüchtlinge in Oerlinghausen ist seit Februar 2017 Schwerpunkteinrichtung für Geflüchtete aus dem Westbalkan. Ein Großteil der hier untergebrachten Geflüchteten stammt aus den sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“, die Asylverfahren werden im Schnellverfahren durchgeführt. Wie beurteilen Sie die Unterbringung und das Asylverfahren in dieser Einrichtung?

Haben Sie vielen Dank, dass Sie diese Frage nach der Schwerpunkteinrichtung Westbalkan stellen. Denn über die konkrete Situation in Oerlinghausen und der Menschen dort wird kaum berichtet. Kaum jemand macht sich eine Vorstellung darüber, was die Menschen tun und mit welchen Problemen sie hier in Lippe zu kämpfen haben.

Die Länder des Westbalkans wurden von der jetzigen Bundesregierung zu „sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Ich frage mich, worauf diese Einschätzung beruht, da insbesondere Minderheiten, Roma, LSBTIQ oder auch Oppositionelle gesellschaftliche und staatliche Diskriminierung in ihren Heimatländern erfahren. Bei einer Rückkehr erwartet sie meist (erneut) ein Leben ohne Arbeit und ohne Perspektiven und weitere Diskriminierungen.

Nicht nur deshalb halte ich diese Ausweitung der angeblich „sicheren Herkunftsstaaten“ für falsch. Mit dieser Bestimmung erfahren die Betroffenen erhebliche Einschränkungen von Verfahrensrechten sowie von sozialen und wirtschaftlichen Rechten. Ihre Schutzbelange werden nicht so ernst genommen und sie laufen quasi schon mit schlechter Bleibeperspektive ausgestattet im Eilverfahren durch das Asylverfahren, ohne dass angemessen geprüft wird. Zudem verhindert die mit der Bildung einer zentralen Unterbringung verbundene Abschottung, dass man auch außerhalb der Einrichtung über die Geschichte der Menschen informiert wird. Dies erschwert die Unterstützung der einzelnen Menschen und verhindert eine öffentliche Aufklärung über die Zustände z.B. Kosovo, da andere Länder im Fokus stehen.

Wir Grünen wollen daher diese Asylverschärfungen zurücknehmen und sie im Sinne einer humanen und menschenrechtlichen Flüchtlingspolitik korrigieren. Dafür werde ich mich einsetzen.

2. Wie beurteilen Sie das umstrittene Thema Abschiebungen nach Afghanistan?

Die Abschiebungen nach Afghanistan halte ich für falsch. Afghanistan ist nicht sicher, sondern befindet sich in einem Bürgerkrieg. Die Verabredungen über die Rückführungen nach Afghanistan gehören ausgesetzt. Seit Monaten fordern wir Grünen zusammen mit Nichtregierungsorganisationen, dass es einen neuen Lagebericht geben muss, der die Situation im Land neu bewertet. Den gibt es nicht, nur einen Zwischenbericht, der die alten Statements mehr oder weniger fortschreibt und verharmlost. Das empört mich zutiefst, denn das Resultat betrifft die Flüchtlinge, die hier um Asyl und Aufnahme bitten und untergräbt ihre Chancen, Hoffnungen und Integration.

Der Anschlag vom 31.Mai in der Nähe der deutschen Botschaft in Kabul mit dutzenden Toten war ein enormer Rückschlag. Auf der Internet Seite des AA kann man zu den Reisewarnungen nachlesen: „Bombenanschläge, bewaffnete Überfälle und Entführungen gehören seit Jahren in allen Teilen von Afghanistan zum Angriffsspektrum der regierungsfeindlichen Kräfte“. Dass die CDU/CSU und SPD mauern, den Innenminister de Maizière mit seiner Härte gegen Flüchtlinge gewähren lassen und humanitäre Menschenrechte missachten, untergräbt das Grundgesetz. Das ist ein Skandal.

Wenn es aktuell heißt, nur „Gefährder“ und Straftäter würden nach AFG abgeschoben, so dient das vordergründig dazu, die Kritik an der Flüchtlingspolitik von rechter Seite zurückzudrängen. Es handelt sich hier aber um schwammige und fragwürdige Etiketten: Welche Straftaten haben diese Flüchtlinge begangen? Gehören kleinere Delikte oder Identitätsprobleme mit dazu? Auch reichen bisherige Gesetze aus, Ausweisungen für „Gefährder“ vorzunehmen, dazu braucht es keine der proklamierten Sammelabschiebungen.

3. Was muss im Kreis Lippe in Bezug auf die Themen Flucht, Asyl und Aufenthalt von Geflüchteten Ihrer Meinung nach geschehen?

Im Kreis Lippe engagieren sich viele Menschen für Flüchtlinge. Die damals vorhandene Willkommenskultur war und ist ein großartiges Beispiel dafür, was Bürgerinnen und Bürger alles leisten können. Dieses Klima hat sich leider durch das Erstarken der AfD negativ verändert. Vor allem die CDU/CSU setzt sich von der Willkommenskultur ab. Die nach und nach vollzogenen Asylverschärfungen haben inzwischen auch auf den Kreis Lippe durchgeschlagen. Das bürgerliche Engagement ist mühsamer geworden, das Interesse hat nachgelassen, die Kritik, aber auch Diffamierungen haben zugenommen. Auch werden die bürokratischen Hürden höher.

Als Pflegemutter eines afghanischen Flüchtlings erfahre ich immer wieder, wie schwierig und zeitaufwändig es ist, sich für die Interesse der jungen Menschen einzusetzen. Sehr viele minderjährige Afghanen haben nach ihrem 18. Geburtstag eine Ablehnung zusammen mit der Androhung auf Abschiebung bekommen. Das war für viele kaum verkraftbar und demotivierend. Die zunehmend restriktiven und komplizierten Vorgaben der Bundesebene und des Ministers De Maizière belasten die Kooperation der Behörden bei der Bewilligung von Ausbildungsplätzen und bei der Frage der Abschiebungen – auch wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Kommunen durchaus um realitätsnahe Umsetzungen. Es wäre gut, wenn auch aus dem politischen Raum mehr Interesse an den Abläufen und den Hindernissen bestünde, damit ein besserer Informationsfluss gewährleistet ist und die Integration der jungen Leute gelingt.

Was braucht es? Weiterhin Aufgeschlossenheit, Sprachförderung und vor allem Perspektiven für die Flüchtlinge, die hier leben werden. Es muss mehr dafür getan werden, dass die Kontakte zwischen den unterschiedlichen Kulturen sich vertiefen und die Flüchtlinge Anschluss bekommen. Sportvereine bieten ein gutes Bestätigungsfeld, aber für weibliche Flüchtlinge braucht es andere Unterstützungsformen. Der Zugang zu Arbeit und zu menschenwürdigen Wohnungen müssen ganz nach oben auf die Tagesordnung.